Architekturgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Ferdinand Keilmann Der Architekt Ferdinand Keilmann im Systemwandel des 20. Jahrhunderts
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IV. Ferdinand Keilmann - Ein Architektenleben (Teil 2)

IV.5. Rückkehr nach Aschaffenburg

Nach der Rückkehr aus Weimar, wo Keilmann keine Perspektive zur beruflichen Entwicklung mehr sah, machte er sich die in einer kleinen Stadt wie Aschaffenburg bestehenden guten Kontakte seines Vaters zunutze. Auf ein Gesuch von F. Keilmann sen. an die Stadt vermerkt das Protokollbuch des Stadtrates für die 3. Sitzung vom 26. Mai 1933:

„Herr Ferdinand Keilmann, Sohn des Studienrats Keilmann, ist auf dessen Gesuch versuchsweise zunächst auf einige Monate ohne Vergütung am Stadtbauamt zu beschäftigen.“[1]

Unter Berücksichtigung der damaligen wirtschaftlichen und politischen Entwicklung sah Keilmann deutlich die Chancen, die sich ihm in einer öffentlichen Verwaltung boten. Durch das in der Kleinstadt Aschaffenburg bestehende Beziehungsgeflecht und seine frühzeitige Parteimitgliedschaft konnte er nach der Machtübernahme hoffen, hier eine dauerhafte Anstellung zu finden. Daß diese Anstellung in Form eines Volontariats und zunächst unentgeltlich erfolgen sollte, ist nicht gering zu schätzen; viele Architekten hatten Schwierigkeiten, überhaupt eine Beschäftigung zu finden. Durch die immer noch am Boden liegende Baukonjunktur gab es in den wenigen bestehenden Architekturbüros keine Tätigkeiten, die man hätte delegieren können. Jemanden mit Entwürfen zu beauftragen, für die kein wirklicher Bedarf bestand, verbot sich allein schon durch die dadurch verursachte Verschwendung von teurem Zeichenmaterial.

Nachdem sich Keilmann im Stadtplanungsamt eingearbeitet hatte, stellte er zum Oktober 1933 einen weiteren Antrag an die Stadt, in ein dauerndes Angestelltenverhältnis übernommen zu werden. Bis zu diesem Zeitpunkt umfaßte seine Tätigkeit im Amt in erster Linie die Prüfung von Anträgen für die Gewährung von Reichszuschüssen für Hausinstandsetzungen und war in keiner Weise künstlerisch orientiert. Die Übernahme in eine feste Anstellung wurde jedoch mit Beschluß des Stadtrats in der Sitzung vom 27. Oktober 1933 abgelehnt, weil

„die Zahl der planmäßigen Beamtenstellen von der Regierung begrenzt ist, andererseits weil auch bei Beschäftigung im Angestelltenverhältnis zunächst erwerblose ältere Techniker oder Architekten mit Kindern in erster Linie berücksichtigt werden müssen.“[2]

Zumindest entschloß sich der Stadtrat, die unbezahlte Tätigkeit in eine HilfstätigkeitAschaffenburger Zeitung 1933 mit Bezahlung umzuwandeln, wobei die Arbeiten stundenweise auf Basis des Angestelltentarifs zu entlohnen waren. Das Ergebnis der Stadtratssitzung war sicherlich nicht so positiv, wie Keilmann es sich vorgestellt hatte, hatte er im Juli doch öffentlich seine eingehende Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Bewegung deutlich gemacht. Sein Entwurf für ein „Denkmal der nationalen Erhebung“[3] wurde mit einem Artikel in der Aschaffenburger Zeitung, die inzwischen zum Parteiorgan umgewandelt worden war, bedacht.

Die Gleichschaltung der öffentlichen Verwaltungen durch die Nationalsozialisten führte auch in der Familie Keilmann zu Veränderungen. Hatte Keilmann sich noch 1932 bei seinem Vater für den Eintritt in die NSDAP entschuldigt[4], so wurde auch dieser bald selber Parteimitglied; dies geschah wahrscheinlich nach dem Ende der befristeten Aufnahmesperre der NSDAP im Jahre 1937. Als Lehrer und Staatsdiener fühlte sich F. Keilmann sen. verpflichtet, den Forderungen nach politischem Engagement zumindest als zahlendes Mitglied nachzukommen. Zuvor war schon das Orchester, welches er leitete, in den „Kampfbund für Deutsche Kultur“ eingegliedert worden. Im Gegensatz zu seinem ältesten Sohn strebte er aber kein politisches Amt an.

Keilmann hatte schon seit dem 1. Januar 1934 das Amt des Pressewarts der örtlichen NSDAP-Gruppe inne, am 12. März 1935 stellte zusätzlich den „Antrag auf Ausstellung eines Ausweises für pol. Leiter“.[5] Ziel war das Amt des Ortsgruppen-Propaganda- und Presseamtsleiters. Die zu diesem Antrag vermerkten Bewertungen sind deshalb interessant, weil unterschiedliche Beurteilungen vermerkt waren. Eine positive Beurteilung („Ehrgeizig, gewissenhaft, befähigt und eifrig. Entspricht den Anforderungen, ist zuver-lässig und einwandfrei“ und weiter „Propagandistisch begabt, Verhältnis zu Bevölkerung gut, sehr gutes fachliches Wissen“) stammte vom Kreisleiter Wohlgemuth, der ein Bekannter der Familie war, sich aber nicht ausschließ-lich in Aschaffenburg aufhielt. Dagegen stellte der Ortgruppenleiter der zuständigen Ortsgruppe Aschaffenburg-West, Dyroff, ein anderes Urteil aus, daß nämlich „das Interesse [...] höher sein“ dürfte. Ebenfalls bemängelte er, daß Keilmann „die NSDAP-Versammlungen nur hier und da“[6] besuchte. Da Dyroff jedoch in der Hierarchie untergeordnet und Keilmann mit Wohlgemut persönlich bekannt war, wurden diese Bedenken bei der Entscheidung zunächst nicht berücksichtigt. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf den Lebenslauf, der neben einem kleinen Fragebogen, einem polizeilichen Führungszeugnis („nicht vor 1933 ausgestellt“[7]), einem Stammbaum bis 1800, dem Personalfragebogen und einem Befähigungszeugnis der Partei abgegeben werden mußte. Die aussagekräftigste Stelle im Lebenslauf ist folgende:

„Aufbruch neuer Baugesinnung und neuen Bauwillens führte mich an die Hochschule für Baukunst nach Weimar, wurde zunächst Schüler von Prof. Bartning und später Schüler des Prof. Schultze-Naumburg, unter welchem ich auch die dortigen heftigen Kulturkämpfe mitgemacht habe.

Nach meinem Abgang habe ich im Atelier von Prof. Neuchert [sic!] gearbeitet...“
[8]

Berücksichtigt man hier den Bekanntheitsgrad, den die genannten Personen auch in einer nordfränkischen Stadt wie Aschaffenburg im Jahre 1935 hatten, so erklärt sich die Darstellung. Zum einen konnte Keilmann bei Bartning nicht studiert haben, da dieser sich während der Semester in seinem Berliner Büro aufhielt und nur zu den Prüfungen und Sitzungen des Lehrerkollegiums der Hochschule nach Weimar kam. Der Name Neufert war allerdings selbst in Aschaffenburg sicherlich bekannt, und die Nennung konnte in einem solchen Antrag nicht förderlich sein. Neufert stand durch sein früheres Engagement im Weimarer Bauhaus in dem Ruf, ein Anhänger der Kommunisten zu sein.[9] Die Querelen um die Ablösung des Lehrkörpers in Weimar im Jahre 1930 durch den „Blut und Boden“-Ideologen Schultze-Naumburg war im gesamten Reich durch die Presse gegangen[10] und es stand zu befürchten, daß sich selbst im weit entfernten Aschaffenburg noch jemand daran erinnerte. Keilmann mußte also aufpassen, welche Namen er in seinem Lebenslauf erwähnte. Da dieser mit Schreibmaschine geschrieben ist, ist in Betracht zu ziehen, daß die falsche Schreibweise von Neuferts Namen absichtlich erfolgte. Schließlich ist die Formulierung „Aufbruch neuer Baugesinnung und neuen Bauwillens“ sehr geschickt gewählt, wird doch keine Aussage darüber gemacht, ob die „neue Baugesinnung“ eher im Stil des neuen Bauens bei Bartning und Neufert zu suchen ist oder Schultze-Naumburg mit seinem Heimatschutz-Stil[11] gemeint ist.

Der Antrag auf die angestrebten Ämter wurde von der NSDAP angenommen, jedoch wurdeAntrag auf eine Teilamtsenthebung in der NSDAP Dezember 1935 Keilmann drei Monate nach Antritt schon wieder vom Amt des Propagandaleiters enthoben. Ob bei dieser Amtsenthebung die negative Bewertung bezüglich seines Engagements eine Rolle spielte, kann heute nicht mehr geklärt werden. Es ist auf dem entsprechenden Formular zwar die Rede davon, daß er der Partei für dieses Amt nicht aggressiv genug gewesen sei[12], jedoch ist zu berücksichtigen, daß er das Amt des Presseleiters behielt. Dies deutet darauf hin, daß die Enthebung ausschließlich auf Schwierigkeiten zurückzuführen war, die Keilmann mit mündlichen Vorträge hatte, welche er als Propagandaleiter halten mußte. Naheliegende Ursache dürfte Keilmanns Schwerhörigkeit gewesen sein, durch die seine Möglichkeit zur klaren und deutlichen Aussprache leicht eingeschränkt war und die ihm ein Eingehen auf Zwischenfragen und -rufe erschwerte.

Keilmanns Beschäftigung bei der Stadt hatte inzwischen neue Impulse erhalten; durch den anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung war es möglich, wieder umfangreichere Bautätigkeiten zu entwickeln. Neben den reinen Verwaltungsaufgaben wurde er zusätzlich als Entwurfsarchitekt an Hochbauplanungen des Stadtplanungsamtes beteiligt.[13] Als auch in der Resonanz der damaligen Presse herausragendes Projekt ist hier das „Jägerdenkmal“ zu nennen, ein Mahnmal zu Ehren des bis zum Ende des Ersten Weltkriegs in Aschaffenburg ansässigen Jägerbataillons, welches regelmäßig über Pfingsten ein Veteranentreffen in der Stadt veranstaltete. Nach vielen Entwürfen und verschiedenen Einflußnahmen wurde schließlich zu Pfingsten 1936 die Weihe des neuen Mahnmals vorgenommen, zu dem Keilmann zusammen mit dem örtlichen Bildhauer Gentil die Entwürfe geliefert hatte.[14] Infolge dieser öffentlichen Präsentation wurde Keilmanns Bild in eine Veröffentlichung der Stadt Aschaffenburg aufgenommen, die ihn in eine Reihe mit verdienten Parteimitgliedern stellte. Hieraus sollte ihm später noch Schwierigkeiten erwachsen.[15] Trotz seines parteipolitischen Engagements bestand jedoch nach wie vor keine Möglichkeit, in ein reguläres Angestelltenverhältnis übernommen zu werden.

Die persönliche Beziehung zwischen Keilmann und seinem Vater hatte zu diesem Zeitpunkt ihren Tiefpunkt erreicht. Der Sohn war jetzt 28 Jahre alt, arbeitete mit stundenweiser Entlohnung in einem unklaren Arbeitsverhältnis und hatte durch die Enthebung vom Propagandaleiter-Posten auch über die Parteizugehörigkeit keine Impulse für seine berufliche Weiterentwicklung zu erwarten. Keilmann zog die Konsequenz und bewarb sich um eine Arbeitsstelle als Architekt beim Reichsluftfahrtministerium (RLM). Dieses hatte bis zum Februar 1935 die massive Aufrüstung verdeckt durchgeführt.[16] Als die Rüstungstätigkeit öffentlich gemacht war, schaltete das RLM im ganzen Reich zahlreiche Anzeigen, um fähige Architekten und Baufachleute für den Bau von Flugplätze und Flakkasernen zu rekrutieren. Zum 1. April 1936 fand sich Ferdinand Keilmann vermutlich in einem Ausbildungslager für Mitglieder der Bauabteilung der Reichsluftwaffe ein. Er war von Aschaffenburg abgereist, ohne seine Familie genau über seine weiteren Pläne und Aufgaben zu informieren. Sein Vater schrieb ihm:

„Du gingst ohne Abschied von mir auf deine weite Reise – Deine paar Zeilen an mich konnten mir auf keinen Fall Beruhigung noch wohltuende Klarheit über Dich geben.“[17]


VI.6. Luftwaffenbauwut

Die Darstellung der Anstellung Keilmanns bei der Luftwaffenbauverwaltung leidet ganz unter der äußerst dürftigen Quellenlage. Eine Folge dieser Quellenlage ist, daß es über diesen Teilbereich der Reichsluftwaffe für die Jahre 1923 bis 1945 nur eine äußerst begrenzte Anzahl von Veröffentlichungen gibt. Gleichzeitig war keine Behörde der nationalsozialistischen Herrschaft so gründlich bei der Vernichtung von Aktenmaterial gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Es mag nur leicht übertrieben sein, wenn man behauptet, die Aktenvernichtung sei das einzige Vorhaben der Luftwaffe unter der Leitung von Hermann Göring gewesen, daß effektiv und erfolgreich durchgeführt wurde.

VI.6.1. Sylter Tage

Am 1. April 1936 trat Ferdinand Keilmann seine neue Arbeitsstelle für die Bauverwaltung des Reichsluftfahrtministeriums (RLM) an. Bei der Bewerbung für eine Anstellung innerhalb dieser Rüstungsbehörde war ein „Nachweis arischer Abstammung“ auf Basis des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 11. April 1935 beizubringen. Er hat die Bewerbung für das beim RLM schon seit dem November des Jahres 1935 vorbereitet, dies ergibt sich aus den Abschriften der vorzulegenden Geburts- und Heiratsurkunden seiner Eltern und Großeltern, die auf diesen Monat datieren. Zusätzlich zu diesen Abschriften war ein Fragebogen[18] einzureichen, der die auf den Urkunden erkennbaren Daten noch einmal in kurzer tabellarischer Form zusammenfaßte.

Eine Bewerbung zur Bauverwaltung des RLM war zu diesem Zeitpunkt sehr aussichtsreich. War nach Ende des ersten Weltkriegs der Aufbau einer neuen Luftwaffe durch den Versailler Vertrag strengstens untersagt worden[19], so gab es schon ab 1923 mit der Wiedererlangung der Lufthoheit erste Bestrebungen, unter dem Deckmantel von ziviler Fliegerei eine militärische Flugausbildung zu etablieren. Nach dem Vertrag von Rapallo[20] wurden die Ausbildungsbereiche, die sich in Deutschland auch nicht verdeckt durchführen ließen, nach Rußland verlegt. Die Leitung der verdeckt arbeitenden Fliegertruppe hatte General von Seeckt, die Gelder, um ein solches Vorhaben zu finanzieren, kamen aus einem schwarzen Etat des Reichsverkehrsministeriums. Einen erheblichen Vorschub erhielt diese Entwicklung mit der 1926 gegründeten „Deutschen Luft Hansa“, unter deren Dach nun die geheimen militärischen Aktivitäten gebündelt wurden. Leiter des Unternehmens war der Hauptmann a.D. Erhard Milch[21], dessen Wunsch, in die NSDAP einzutreten, noch 1929 von Hitler abgelehnt wurde, da Milch als Parteiloser wirksamer für die Partei tätig sein könne. Durch Milchs Einfluß bekam Hitler im Jahr 1932 die Möglichkeit, die Flugzeuge der Lufthansa ausgiebig zu nutzen und so an einem Tag in mehreren Städten Wahlkampfveranstaltungen abzuhalten.

Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten erhielten die Bemühungen, eine deutsche Luftwaffe aufzubauen, neue starke Impulse. Am 2. Februar 1933 ernannte Adolf Hitler den letzten Kommandanten des Jagdgeschwaders „Richthofen“, Hauptmann Hermann Göring, zum Reichskommissar für die Luftfahrt. Dieser wiederum berief - wohl auf Druck Hitlers - Erhard Milch zu seinem Stellvertreter.[22] In den folgenden zwei Jahren wurden die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen, um mit dem „Erlaß zur Bildung der Reichsluftwaffe“ am 26. Februar 1935 die Luftwaffe als dritten Wehrmachtsteil neben Reichsheer und Reichsmarine zu etablieren.[23] Im Zuge dieses Erlasses wurde die territoriale Gliederung der Luftwaffe in sechs Luftkreiskommandos[24] umgesetzt, denen gleichzeitig die schon bestehenden Flieger-, Flak- und Nachrichtentruppen unterstellt wurden.

Die Bauverwaltung innerhalb der Luftwaffe war in dem am 1. Oktober 1933 geschaffenen Luftwaffenverwaltungsamt (LD) angesiedelt. Dessen Aufgabe wird von Völker folgendermaßen beschrieben:„

Im Gegensatz zu den bisher genannten Ämtern trug das Luftwaffenverwaltungsamt keinen rein militärischen Charakter. Es stand unter der Leitung eines Militärs, war aber überwiegend mit zivilen Abteilungs- und Gruppenleitern und Referenten besetzt. Dem Amt oblag als Hauptaufgabe der Ausbau der Fliegerbodenorganisation, die Errichtung neuer Fliegerhorste, Kasernenanlagen, Schulen und Übungsplätze. [...] Als weitere Aufgabengebiete des Amtes sind das Besoldungs-, Verpflegungs-, Bekleidungs- und Unterkunftsverwaltungswesen zu nennen.“[25]

Um dem wachsenden Umfang der Fliegertruppe bei der Planung und Erstellung der Fliegerhorste Rechnung zu tragen[26], wurde innerhalb der Abteilung LD III des Luftwaffenverwaltungsamtes, die mit Liegenschaften, Unterkunft, Verpflegung und Beschaffung zuständig war, eine Unterabteilung für Bauangelegenheiten geschaffen, deren Leitung der Oberregierungsbaurat Karl Gallwitz übernahm. In seine Zuständigkeit fiel die Leitung der „Bauangelegenheiten für sämtliche Flughäfen, Standorte und Anlagen“ als auch einer sogenannten Baugruppe, deren Aufgabe die „Durchführung der Neu- Um- und Erneuerungsbauten in sämtlichen Flughäfen und Standorten“[27] sowie die bauliche Unterhaltung sämtlicher Anlagen war.[28] Er hatte in dieser Funktion einen umfassenden Einfluß auf das Erscheinungsbild der Luftwaffenbauten, da er in das Anstellungsverfahren für bestimmte Architekten eingreifen konnte und gestalterische Vorgaben für die Planung von Luftwaffengebäuden machen konnte.[29]

Für die Vielzahl der neu zu errichtenden Gebäude war es notwendig, in großer Zahl Architekten einzustellen. Da bei der nationalsozialistischen Machtübernahme die Arbeitslosigkeit im Bauwesen besonders groß war, hatte die Luftwaffenbauverwaltung keine Schwierigkeiten, junge Architekten für die Planung der umfangreichen Bauaufgaben zu gewinnen. Hauptaufgabe war die Errichtung von Fliegerhorsten und -schulen, von denen zwischen 1933 und 1939 etwa 150 Anlagen errichtet wurden.[30] Dittrich beschreibt einen Fliegerhorst als

„ein komplettes städtebauliches Gebilde, dessen wichtigstes Element das Rollfeld mit den Flugzeughallen und der Befehlsstelle war. Die übrigen Bauten wie Kommandantur, Unterkünfte, Lehr- und Wirtschaftsgebäude, Sport- und Schwimmhallen wurden aus Sicherheitsgründen in ausreichender Entfernung angeordnet.“[31]

Die Aufnahme einer planerischen Tätigkeit innerhalb der Bauverwaltung des RLM erfolgte für Ferdinand Keilmann vermutlich erst Anfang September 1936; in den fünf Monaten zuvor leistete er wahrscheinlich einen verkürzten Truppendienst ab.[32] Im Herbst 1935 hatte die Reichsregierung ein Gesetz über das Ingenieurkorps der Luftwaffe erlassen, um den Mangel an ausreichend technisch qualifiziertem Personal abzustellen. Nach der Erfüllung bestimmter fachlicher Voraussetzungen und der Ableistung eben dieses verkürzten Truppendienstes wurden die Techniker und Ingenieure in ein Beschäftigungsverhältnis nach Beamtenstatus übernommen.[33]

Keilmann fand sich schließlich an seinem Einsatzort, dem Seefliegerhorst Hörnum auf Sylt ein. In der relativen des Standortes bestand das Leben in erster Linie aus Arbeit. Seine erste Aufgabe bis zum Februar 1937 war der Entwurf und die konstruktive Durchbildung des Offiziersheims, in der anschließendenOffiziersheim des Seefliegerhorst Hörnum baulichen Umsetzung fungierte er als Bauleiter und kümmerte sich gleichzeitig um die Planung des Innenausbaus. Besonders für die künstlerische Ausgestaltung der Innenräume fand er Anerkennung bei seinen Vorgesetzten.[34] Nach Abschluß der Arbeiten an diesem Vorzeigeobjekt des Fliegerhorstes war seine weitere Aufgabe eine Siedlungsplanung für die Angehörigen der an diesem Standort eingesetzten Soldaten. Die Ausführung dieser Pläne fiel einige Monate später schon nicht mehr in seiner Verantwortung.

Die Arbeitsbedingungen auf der Insel waren nicht einfach, da die Bauarbeiten des RLM unter eine Geheimhaltungspflicht fielen. Die Beteiligten hatten nur eingeschränkte Möglichkeiten, sich frei auf der Insel zu bewegen und die Abschottung von der Bevölkerung konnte bei den Mitarbeitern zu einer Art „Lagerkoller“ führen; Alkoholmißbrauch war keine Seltenheit und es kam zu Selbstmordversuchen. Keilmann konnte sich mit Hilfe seines Koffergrammophons und einer erheblichen Anzahl von Schallplatten zumindest in die für ihn wichtige Welt der Musik zurückziehen, die ihn in seiner Einsamkeit Rückhalt bot. Gleichzeitig verursachte das Meeresklima bei Keilmann eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes. Die Schwerhörigkeit nahm durch die Witterungsbedingungen gerade im Winter 1936/37 ernsthaft zu[35], weswegen er begann, sich um eine Versetzung an einen möglichst weit von der Küste entfernt liegenden Einsatzort zu bemühen. 

Die letzten Tage bis zu seiner Versetzung zur Bauleitung Flakabteilung Berlin-Lankwitz verbrachte Keilmann in Hochstimmung, hatte er doch trotz der Abschottung an seinem 30. Geburtstag die Frau seines Lebens kennengelernt. In der Antwort auf eine Brief von Ferdinand an seinen Bruder Wilhelm antwortete dieser am 8. September 1937:

„Ja - Menschenskind - ich bin ja wirklich umgefallen, so stark wirkte auf mich diese Überraschung, daß Du Deine „Göttin“ gefunden hast. Ich gratuliere ja wirklich auf das Herzlichste - sie sieht sehr reizend (Unterstreichung im Original) aus - nordischer Typ - den Du ja so gern hast.“[36]

Eva Schliffke hielt sich im Sommer 1937 mit ihrer Mutter auf der Insel auf. Für den von Einsamkeit geplagten 30-jährigen Architekten und die 17-jährige Tochter eines Hamburger Rechtsanwalts war es Liebe auf den ersten Blick; jedoch sollten die beiden zunächst nur eine kurze Zeit miteinander verbringen können: zum 15. September 1937 erfolgte die schon lange angestrebte Versetzung Keilmanns zum Luftkreiskommando Berlin. Zur Weihe des Offiziersheims von Hörnum, für die Keilmann noch die Einladungskarte gestaltet hatte und dafür in einem Wettbewerb mit dem ersten Preis ausgestattet worden war[37], konnte er wegen seiner Versetzung schon nicht mehr erscheinen.

VI.6.2. Flakkaserne in Berlin

Das Zeugnis, das Keilmann von Seiten der Bauleitung Hörnum erhielt, sollte ihm bei der Bauleitung der Flakkaserne in Berlin-Lankwitz die Türen öffnen. Nachdem er durch den Lankwitzer Bauleiter, Bauassessor Kreisch, zunächst bei der Mitarbeit an mehreren Unterkunftsbauten auf seine Fähigkeiten getestet wurde, bestand in der Folgezeit seine Tätigkeit im Entwurf und alleiniger Durchgestaltung eines Doppelwirtschaftsgebäudes innerhalb der Kasernenanlage.[38]

Um die Eingliederung von Flakabteilungen in das RLM hatte in den Jahren zuvor heftige Auseinandersetzungen zwischen den Verantwortlichen in Heer und Luftwaffe gegeben. Immerhin bedeutete die Schaffung der Reichsluftwaffe in Teilen eine starke Beschneidung der Kompetenzen von Reichsheer und -marine. Verblieb nach der Machtübernahme die Flakartillerie zunächst noch in der Verantwortung des Reichsheeres, so wurden auch diese Verbände mit der Enttarnung der Luftwaffe im Februar 1935 in die neugeschaffene Reichsluftwaffe überführt.[39] Die Zuständigkeiten für die Flugabwehr blieben für den gesamten Zeitraum der nationalsozialistischen Diktatur ein ständiger Unruheherd im Verhältnis der einzelnen Militärabteilungen. Allerdings sollten sich die größten Differenzen der Marine und des Heeres zur Reichsluftwaffe erst im Lauf des Zweiten Weltkriegs zeigen, als die Luftwaffe sich als unfähig herausstellte, die immer stärker werdenden Angriffe alliierter Flugverbände einzudämmen.

Als Keilmann am 16. September 1937 seine neue Arbeitsstelle in Berlin antrat, war jedoch von der Aufbruchstimmung der ersten Jahre innerhalb der Bauverwaltung des RLM nicht mehr viel zu spüren. Die Beschreibung von Karl Gallwitz, zwar erst 1940 publiziert, aber eine Zeit um 1935 behandelnd, schien bereits wie aus einer anderen Welt:

„Wenn als nach wenigen Wochen zentraler Vorarbeit junge Baumeister, deren Auswahl in erster Linie nach ihrem Tatendrang und Verantwortungsbewußtsein getroffen wurde, mit einem Koffer voller Pläne und RM 1000.- in bar für die ersten Zahlungsleistungen hinausgeschickt wurden nach Baustellen in völliger Abgeschiedenheit, wo noch kein elektrischer Strom und kein Wasser waren, wohin weder feste Straßen noch gar Bahnanschluß und Fernsprecher führten, so war zunächst allerdings den verantwortlichen Beamten des Reichsluftfahrtministeriums bänger ums Herz als den auserkorenen Baumeistern selbst. Aber sie schafften ihre Sache besser, als es eine alte Baudienststelle gekonnt hätte, weil Hemmungen ihnen noch nicht anerzogen waren.“[40]

Vielleicht hatte Keilmann vergleichbaren Berichten, die den Abenteuergeist wecken mochten, vertraut und zum Anlaß genommen, in die Bauverwaltung des RLM einzutreten, allerdings waren inzwischen neue Voraussetzungen geschaffen worden. 1937 veröffentlichte das RLM eine 93-seitige Zusammenstellung des Raumbedarfsnachweises für die Luftwaffe, in der die schon vorher festgelegten Bestimmungen bezüglich der Anwendung von DIN-Normen und der VOB (Verdingungsordnung für Bauleistungen) sowie eine starke Einschränkung der gestalterischen Freiheit festgeschrieben wurde.[41] Nachdem die Architekten in den Jahren des getarnten Aufbaus weitgehende gestalterische Freiheit besaßen, wurde mit der Zusammenfassung der Richtlinien in die farbliche Gestaltung der Fassaden und Dächer eingegriffen. Gleichzeitig verursachte die sich abzeichnende Rohstoffverknappung eine Abkehr von der zuvor üblichen zweigeschossigen Bauweise hin zu Gebäuden mit drei Geschossen, so daß eine Unterscheidung zu Heeresbauten kaum noch erkennbar war. Allerdings fand eine durchgreifende Typisierung der Gebäudeformen im Gegensatz zum Heer bei der Luftwaffe erst im Laufe des Zweiten Weltkriegs statt.[42]

Keilmann sprach am 20. Juli 1939 seine Kündigung gegenüber dem Luftgaukommando III zum 30. September des Jahres aus.[43] Dieser Schritt ist auf den ersten Blick nicht leicht nachvollziehbar, immerhin bot das RLM die Möglichkeit, in eine gesicherte Beamtenlaufbahn einzutreten und auf diesem Weg den zukünftigen Unwägbarkeiten einer selbständigen Tätigkeit zu entgehen. Wie wage die Verdienstaussichten bei einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage sein konnten, hatte er schon zum Abschluß seines Studiums eindrucksvoll erfahren. Jedoch erkannte wohl Keilmann die sich abzeichnende weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage für das Bauwesen gerade des RLM, und dies konnte ein Grund für die Kündigung sein. Es waren von der Leitung der Luftwaffenbauverwaltung Verordnungen in Bearbeitung, nach denen nur noch die technischen Bauten in massiver Bauweise errichtet werden sollten, alle weiteren Gebäude wie Unterkünfte und Nebengebäude sollten als normierte Behelfsbauten ausgeführt werden. Damit verlor die Architektur im Sinne einer individuellen, über das funktional Vorgegebene hinausgehende Gestaltung immer mehr an Einflußmöglichkeiten.[44] Keilmann sprach in diesem Zusammenhang davon, daß „eine restlose Auswirkung meiner beruflichen Fähigkeiten nur bei einer selbständigen Tätigkeit erfolgen kann.“[45] Als weiterer Grund und damit auch konkreter Anlaß gab er zusätzlich an, daß er einen größeren Privatauftrag erhalten habe, den er genau wie verschiedene angestrebte Wettbewerbsteilnahmen in einem Angestelltenverhältnis aus Zeitmangel nicht realisieren könne.[46]

Nachdem er zunächst genau auf der anderen Straßenseite „seiner“ Baustelle an der Gallwitzallee im Süden der Stadt in einem möblierten Zimmer zur Untermiete gewohnt hatte, war er inzwischen in eine größere Wohnung in der Berlin-Siemensstadt umgezogen.[47] Am 2. Juni 1938 hatte er in Weimar seine Verlobte Eva Schliffke geheiratet – es war ihr 18. Geburtstag – und die neue Wohnung ermöglichte nun erstmals eine Zusammenleben des Ehepaars. Die letzten Monate vor der Ehe mußte das Paar die meiste Zeit noch getrennt verbringen, da Keilmann beruflich stark eingespannt war und Eva nun zwar auch in Berlin, dort allerdings bei einem Onkel lebte.


VI.7. Werkswohnungsbau

Die Begründung, die Keilmann seinem Vorgesetzen beim Reichsluftfahrtministerium in seiner Kündigung genannt hatte, ging völlig an der Realität vorbei.[48] Weder beteiligte er sich in der Folgezeit an irgendwelchen Wettbewerben, noch machte er sich als Architekt selbständig. Auch die Überlegung, den Architektenberuf völlig aufzugeben und in Berlin ein Musikkonservatorium zu besuchen, verfolgte er nur kurze Zeit. Er war sich wohl seiner Fähigkeiten durch die ständige Kritik seines Vaters nicht sicher genug. Vielmehr widmete er sich unmittelbar nach Ende seiner Beschäftigung beim RLM seiner neuen Aufgabe bei der „Brandenburgischen Heimstätte GmbH“ in der Planungsabteilung. Durch die besondere Aufgabenstellung dieses Unternehmens hoffte Keilmann, in seiner Tätigkeit wieder stärkere künstlerische Elemente zu finden. Zusätzlich war ihm für diese Tätigkeit ein verbessertes Einkommen angeboten worden.

Die ersten Gesetzesinitiativen des Heimstättengedankens scheiterten in die 80er Jahre des 18. Jahrhunderts, jedoch erfuhr die Bewegung durch Gesetzesänderungen des aus dem Jahre 1850 stammenden preußischen Reichsgutgesetzes in 1890 und 1916 die von Sozialpolitikern gewünschte Belebung.[49] Sinn der Reichsheimstättengesetzes sollte sein, jedem Bürger Gelegenheit zu geben, „seinen Grundbesitz den besonderen Vorschriften des Reichsheimstättengesetzes zu unterwerfen, und sich eine befriedete Wohnstätte zu erhalten.“[50] Mit diesem Gesetz wurde die Heimstätte in Form von Einfamilienhäusern oder Doppelhaushälften zur Maxime der staatlichen Förderung erhoben. Das Reichsheimstättengesetz verfolgte den Zweck

„einen Schuldnerschutz durchzuführen, wie ihn die Heimstättenbewegung in ihren ersten Anfängen bereits erstrebte. Jedoch hat sich dieser Zweckgedanke, der zunächst die Milderung des strengen Schuldrechts auch in bezug auf Grundstücke durchzuführen und den Grundbesitz des Schuldners unter gewissen Voraussetzungen zum „Notbelaß“ zu erklären suchte, insofern geändert, als nunmehr ganz allgemein der Schuldnerschutz mehr unter einem wohnungspolitischen Gesichtspunkt betrachtet und demgemäß der Familienschutz stärker betont wird.“[51]

Diese gesetzliche Festlegung im Reichsheimstättengesetz von 1920 erweiterte den zu fördernden Personenkreis erheblich, waren die vorhergehenden Regelungen in doch erster Linie für „Kriegerheimstätten“ vorgesehen, um „einen körperlich und sittlich gesunden Volksnachwuchs zu sichern, die Wehrkraft des Volkes zu erhöhen und die Erträgnisse des heimischen Bodens zu steigern“.[52] In der Folge gründeten sich nach Überwindung der Inflation im gesamten Deutschen Reich gemeinnützige Bauvereinigungen mit Staatsbeteiligung, die die in der staatlichen Wohnungspolitik festgelegten, übergeordneten Ziel durchzusetzen versuchten. Aufgabe dieser Heimstätten oder Wohnungsfürsorgegesellschaften war der Bau von „gesunden“, zweckmäßig eingerichteten und möglichst billigen Kleinwohnungen.[53] Allein in Preußen bildeten sich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg 13 Heimstättengesellschaften.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde der Heimstättengedanke zunächst stark gefördert. Zwischen 1934 und 1936 wurden einige weitere Gesellschaften unter einer immensen Kapitalbeteiligung des Reiches gegründet und zusammen mit einigen bereits bestehenden Heimstättengesellschaften als Organe der staatlichen Wohnungspolitik anerkannt.[54] Allerdings veränderte sich die Zielrichtung der Bauförderung. Da ab Mitte der 30er Jahre die Kapazitäten des Bauwesens für die forcierte Rüstungsproduktion benötigt wurden, ließ sich das Leitbild des Einfamilienhauses mit Garten, das noch im Dezember 1933 propagiert worden war[55], nicht länger realisieren. Der Bau von Stockwerkswohnungen bekam eine immer stärkere Bedeutung, wobei in der Erstellung dieser Wohnblocks Versuche zur Kosteneinsparung durch Normung und Typisierung gemacht wurden. Innerhalb der Normungsbemühungen sollten jedoch landschaftstypische Elemente in der Gebäudeplanung weiterhin berücksichtigt werden.[56] Diese Versuche, die oft unabhängig voneinander stattfanden, sollten später in der Forschungsstelle des „Reichskommissars für den Sozialen Wohnungsbau“, der „Deutschen Akademie für Wohnungswesen e.V.“ gebündelt werden.[57]

Die „Brandenburgische Heimstätte GmbH“ wurde 1924 als Organ der staatlichen Wohnungspolitik im Gebiet der Provinz Brandenburg errichtet und war in Berlin ansässig. Als Namenszusatz führte sie die Bezeichnung „Provinzielle Treuhandstelle für Wohnungs- und Kleinsiedlungswesen“, woraus die Aufgabenstellung der Gesellschaft als staatliches Organ der Wohnungspolitik erkennbar war. Hauptgesellschafter der Brandenburgische Heimstätte waren der preußische Staat, der Brandenburgischen Provinzialverband und die Landesversicherungsanstalt der Provinz Brandenburg. Daneben hatten zahlreiche Gemeinden und Kommunalverbände in Brandenburg Gesellschafteranteile erworben.[58] Die Gesellschaftsversammlung und der Aufsichtsrat stellten die obersten Organe der Gesellschaft, wobei der Geschäftsführer vom Aufsichtsrat eingesetzt und kontrolliert wurde. Mit einer nach wirtschaftlichen und Verwaltungsgesichtspunkten des Nationalsozialismus entsprechenden Umwandlung der Organisation und Zielsetzung der Gesellschaft wurde im November 1933 Dr. Hans Wagner[59] der neue Geschäftsführer und gleichzeitiger Oberpräsident der Brandenburgischen Heimstätte. Diese Zusammenlegung der Zuständigkeiten bedeutete eine weitestgehende Ausschaltung der Kontrollmechanismen innerhalb der Gesellschaft, da der Oberpräsident als Vorsitzender des Aufsichtsrates die Kontrolle der Geschäftsführung durchführen sollte.

Die Anzahl größerer Bauvorhaben mit zum Teil hunderten Wohneinheiten war selbst in einer solchen Gesellschaft gering und damit auch der Personalbestand an planenden Architekten überschaubar.[60] Es ist deshalb wahrscheinlich, daß sich Wagner und Keilmann, der nur kurz bei der Brandenburgischen Heimstätte beschäftigt war, häufiger getroffen haben. Diese Annahme ist um so naheliegender, da Keilmanns Aufgabe die komplette Planung einer Werkssiedlung im Rahmen der Luftfahrtindustrie war und er bei der späteren Ausführung zumindest im ersten Bauabschnitt die Bauleitung inne hatte.[61] Bei Keilmanns Eintritt in das Unternehmen im Oktober 1939 war der Lageplan der Siedlung schon in den Grundzügen festgelegt, jedoch mußten die einzelnen Wohngebäude noch ausgestaltet werden. Hierbei griff Keilmann auf normierte Häusertypen zurück, durch deren Verwendung die Baukosten erheblich gesenkt und die Fertigstellungsdauer verkürzt werden konnte. Es zeigte sich nun, wie schon zuvor in der Bauverwaltung des RLM, daß in einer Zeit, in der Deutschland begann, die Welt in eine militärische Katastrophe zu stürzen, für künstlerische Ambitionen wenig bis kein Platz zu sein schien. Außerdem muß die zeitliche Belastung durch die Arbeit erheblich gewesen sein. Aus einem Brief von Keilmanns Mutter vom 22. Juli 1940 geht hervor, daß er mit der Zeiteinteilung bei seiner Arbeit sehr unzufrieden war. Immerhin hatte er die BauleitungLageplan der Bosch-Siedlung in Stahnsdorf für 108 Wohnungen inne und diese sollten so schnell wie möglich fertig gestellt werden. Als weitere Belastung kam hinzu, daß die Baustelle in Stahnsdorf lag, einem Ort südwestlich von Berlin. Der weite Anfahrtsweg hatte jedoch auch Vorteile; wurde doch seit einiger Zeit der Zellenwart der NSDAP bei der Familie vorstellig, um Keilmann als Parteimitglied zum Besuch von Parteiveranstaltungen und Aufmärschen zu drängen. War seine Bereitschaft zuWohnblock der Boschsiedlung in Stahnsdorf regelmäßigen Besuchen solcher Versammlungen schon zu Aschaffenburger Zeiten gering, so verzichtete er wegen der beruflichen Inanspruchnahme inzwischen völlig auf diese Aktivitäten. Die kommende Auseinandersetzung mit dem Zellenwart nahm hier ihren Anfang und gipfelte schließlich im der Einziehung des Parteibuchs durch die Gauleitung Berlin im Jahre 1942.[62]

Nach nur neun Monaten zog Keilmann erneut die Konsequenzen aus einem erneut für ihn nicht befriedigenden Beschäftigungsverhältnis und wechselte den Arbeitgeber. In seiner nächsten Beschäftigung sollte er das genaue Gegenteil dessen erleben, was in seinem beruflichen Werdegang bisher vorherrschend war. Hatte er zunächst immer in Einrichtungen und Unternehmen gearbeitet, die die künstlerisch dürftigen Planungen auch ausführten, so sollte die neue Arbeitsstelle im Dunstkreis von Albert Speer mit einer Bautätigkeit nichts zu tun haben. All die kommenden „großen“ Zeichnungen der nächsten Jahre sollten nur Zeichnungen bleiben.



[1]SSA AB; Sitzungsprotokoll der 3. Sitzung des Stadtrats der Stadt Aschaffenburg vom 26. Mai 1933, Nr. des Vortrags: 37, Tagebuch-Nr. V.
[2]SSA AB; Sitzungsprotokoll der 16. Sitzung des Stadtrats der Stadt Aschaffenburg vom 27. Oktober 1933, Nr. des Vortrags: 430, Tagebuch-Nr. 1.
[3]Aschaffenburger Zeitung vom 8. Juli 1933, Seite 3.
[4]Siehe Kapitel IV. 4 (Studium an der Staatlichen Bauhochschule).
[5]Im folgenden BA, DOC, PK, Keilmann, Ferdinand, 24.07.07.
[6]Ebd.
[7]Ebd.
[8]Ebd.
[9]AKe, Brief von F. Keilmann jun. an F. Keilmann sen. vom 18. April 1932.
[10]Borrmann 1989, S. 192f.
[11]Siehe Kapitel II. 3 (Die Architekturvorstellungen der Nationalsozialisten).
[12]BA, DOC, PK, Keilmann, Ferdinand, 24.07.07.
[13]Da sich aus dem Hochbauamt der Stadt Aschaffenburg keine Unterlagen erhalten haben, war ich bezüglich dieser Angabe auf die Aussagen von Angehörigen angewiesen. Daß Keilmann an Hochbauten mitgewirkt hat, kann als gesichert gelten, jedoch läßt sich nicht sagen, an welchen Projekten und in welchem Umfang.
[14]Aschaffenburger Zeitung vom 11. Januar und 16. Mai 1936.
[15]siehe Kapitel IV. 13 (Entnazifizierung); die von Keilmann im Zuge seiner Entnazifizierung genannten Veröffentlichung ist selbst im Aschaffenburger Stadt- und Stiftsarchiv nicht auffindbar; da er sie selbst erwähnt hat, ging er wohl davon aus, daß sie der Spruchkammer bekannt war.
[16]Dittrich, Elke: Ernst Sagebiel. Leben und Werk, unveröffentlichtes Manuskript zur Dissertation, Berlin 2001.
[17]AKe; Brief von F. Keilmann sen. an F. Keilmann jun. vom 30. Mai 1937 [sic!]. Der in den Monaten zuvor bestehende schriftliche Kontakt zwischen den Familienmitgliedern ist so zu verstehen, daß Keilmann jun. zunächst eine Distanz gesucht hat. Lediglich zu seinem Bruder Wilhelm war das Verhältnis annähernd normal.
[18]AKe; „Fragebogen betr. Einstellung von Angestellten und Arbeitern im RLM. (Reichsgesetzbl. I. S. 679)“. Wie immer ließ sich Keilmann zwei Exemplare des Fragebogens aushändigen, um im Falle des falschen Ausfüllens ein Ersatzexemplar zur Verfügung zu haben. Eines dieser Exemplare liegt vor. Ob Keilmann die gleichen Angabe auch auf dem eingereichten Fragebogen gemacht hat, läßt sich nicht mehr nachvollziehen, da seine Personalunterlagen beim RLM gegen Kriegsende vernichtet wurden.
[19]Im folgenden: Dittrich, 2001, o.S.
[20]Der Vertrag von Rapallo vom April 1922 normalisierte die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland, indem er eine wirtschaftliche Zusammenarbeit begründete und den Verzicht auf eine Vielzahl von gegenseitigen Ansprüchen erklärte. Die Einigung zwischen den beiden Ländern wurde von den Regierungen der westlichen Länder, die am Versailler Vertrag beteiligt gewesen waren, mit äußerstem Mißtrauen betrachtet; siehe zum Beispiel: Mann 1989, S. 699ff.
[21]Erhard Milch (1892 - 1972) war zwischen 1933 und 1944 als Staatssekretär im RLM, 1938-45 Generalinspekteur der Luftwaffe, 1941-44 Generalluftzeugmeister. Er hatte als führendes Mitglied des Ausschusses für „Zentrale Planung“ großen Anteil an der vollständigen Indienstnahme der Industrie für die totale Kriegsproduktion. Nach einer Verurteilung zu lebenslanger Haft in Nürnberg 1947 wurde er 1954 entlassen.
[22]Dittrich 2001, o.S.
[23]Völker, Karl-Heinz: Die deutsche Luftwaffe 1935 - 1945, Stuttgart 1967, S. 13.
[24]Die Luftkreiskommandos hatten ihren Sitz in Königsberg (I), Berlin (II), Dresden (III), Münster (IV), München (V) und Kiel (VI).
[25]Völker 1967, S. 34.
[26]Ebd. S. 16.
[27]BA MA Freiburg, RL 6/162, Vorläufiger Geschäftsverteilungsplan des Amtes LD, geh. Kommandosache, Anlage zu LD 1508/33, in: Dittrich 2001, o.S.
[28]Ebd.
[29]Dittrich 2001, o.S.
[30]Ebd.
[31]Dittrich verweist in diesem Zusammenhang auf: Franke, Hermann (Hrsg.): Handbuch der neuzeitlichen Wehrwissenschaften, Bd. 3.2, Die Luftwaffe, Berlin 1939, S. 18 - 25.
[32]Brief von Rosa Keilmann an Ferdinand Keilmann vom 29. Juli 1936. Ob er diesen Dienst tatsächlich ableisten mußte, ist unklar; immerhin war Keilmann schwerhörig. Allerdings geht aus dem Brief eindeutig hervor, daß er im Juli noch nicht auf Sylt war.
[33]Völker 1967, S. 17.
[34]AKe; Zwischenzeugnis für Ferdinand Keilmann von Regierungsbaumeister Duwe als Vorstand der Bauleitung vom 26. Februar 1937. Duwe wurde später Leiter der Bauabteilung der Organisation Todt.
[35]AKe; Ärztliche Zeugnisse für Ferdinand Keilmann von Dr. Lange, Hörnum vom 24. Juni 1937 und Dr. Teske, Westerland vom 26. Juli 1937.
[36]AKe.
[37]AKe; Schreiben des Regierungsbaumeisters Brand an den Architekten der Bauleitung Hörnum, Ferdi Keilmann, vom 25. August 1937.
[38]AKe; Zeugnis der Bauleitung der Luftwaffe, Berlin-Lankwitz für Ferdinand Keilmann vom 30. September 1939.
[39]Völker 1967, S. 13.
[40]Gallwitz, Karl: Fliegerhorste der Luftwaffe, in: Die Kunst im Deutschen Reich, Ausgabe B, Heft 4, 1940, S. 6.
[41]Dittrich 2001, o.S.
[42]Ebd.
[43]AKe; Kündigungsschreiben Keilmanns an das Luftgaukommando vom 20. Juli 1939.
[44]Dittrich 2001, o.S.
[45]AKe; Kündigungsschreiben vom 20.Juli 1939.
[46]Ebd.
[47]Das Hauses im Jungfernheideweg, in dem die Familie anschließend lebte, war von Walter Gropius geplant worden.
[48]Anscheinend hatte Keilmann einen Standardtext für die Begründung von Kündigungen; eine sehr ähnliche Formulierung wie beim RLM benutzte er im Jahre 1944 noch einmal.
[49]im folgenden: Moosdorf, Johannes: Die Deutsche Heimstättenbewegung der Gegenwart, Kirchhain 1931, S. 66ff.
[50]Ebd.
[51]Moosdorf 1931, S. 66ff.
[52]Bartholomäi, Reinhardt Chr.: 75 Jahre Heimstätten und Landesentwicklungsgesellschaften - Partner des Staates, in: mitteilungen. Landesentwicklungsgesellschaften und Heimstätten, Heft 4, 1995, S. 7.
[53]Ebd.
[54]Bauwelt, Heft 16, 1934, S. 399.
[55]Bauwelt, Heft 34, 1933, S. 915.
[56]Baugilde, Heft 15, 1936, S. 419.
[57]Siehe Kapitel III. 9 (Normung, Typisierung, Behelfsheimplanung).
[58]BR LHA; Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam (Staatsarchiv Potsdam), Teil II: Behörden und Institutionen in der Provinz Brandenburg 1808/16 bis 1945, Weimar 1967, S. 713.
[59]Auf Wagner, der als späterer Geschäftsführer des „Reichskommissars für den sozialen Wohnungsbau“ die schon erwähnte „Deutschen Akademie für Wohnungswesen e.V.“ in seiner Zuständigkeit hatte, wird ebenfalls im Kapitel III. 9 (Typung, Normung, Behelfsheimplanung) genauer eingegangen.
[60]Der Artikel in der Bauwelt, Heft 34/1933, S. 915 weist vier große Bauvorhaben aus, die zu diesem Zeitpunkt gleichzeitig ausgeführt wurden.
[61]AKe; Zeugnis der Brandenburgischen Heimstätte GmbH für Ferdinand Keilmann vom 29. Juni 1940.
[62]AKe; Schreiben von Ferdinand Keilmann an die Spruchkammer Heilbronn vom 27.Februar 1948. Dieser Vorgang wurde in einem Gespräch mit Eva Keilmann bestätigt.

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